Wie man Besitzer eines Rennpferdes wird: Die Geschichte von Earl Of Tinsdal und Sunrace Stables
Bericht von Jana M. Gutschow
Oktober 2010
Als Züchterstochter hat man nicht nur das große Glück die Pferde aufwachsen zu sehen, man kennt auch ihre Altersgenossen, ihre Mütter (und Großmütter), weiß den Charakter einzuschätzen, kann Pedigrees beurteilen und Vergleiche anstellen. Unterm Strich zählt aber das, was man wohl Bauchgefühl nennt und das man vielleicht bekommt wenn man auf einem Gestüt aufwächst und einen großen Züchtersmann als Vater hat. Wenn man ganz unten unterm Strich guckt, ist eigentlich alles nur Glück. Earl Of Tinsdal war auf jeden Fall aus diesen oder jenen Gründen schon als Fohlen mein Favorit. Später als Jährling auf der Sommerweide entwickelte er sich prächtig und auch meine Mutter (mit ihrem unbestechlichen Blick für gute Pferde) fand Gefallen an dem hübschen Hengst. Aber das ich selbst mal Besitzer werde? Nein. Das kam mir nicht eine Sekunde in den Sinn. Der Black-Sam-Bellamy-Sohn wurde von meinem Vater für die BBAG-Auktion im Oktober 2009 nachgenannt und fand (zum gewünschten Preis) keinen Käufer. Spontan und irgendwie typisch Frau entschieden meine Mutter und ich den Sohn unserer Earthly Paradise zu kaufen und eine Besitzergemeinschaft zu gründen. Einen dritten Partner würden wir schon finden, dachten wir optimistisch.
Nun, und wenn man als Frau einen teuren Spontankauf getätigt hat, ruft man (als unverzichtbare Maßnahme gegen den Shopping-Kater) seine Freundinnen an um sich den Kaufentscheid bestätigen zu lassen (klappt fast immer). Und wen ruft man an? Jemanden, der etwas davon versteht. Nun war es meine langjährige Freundin Manuela aus Bonn, die schon seit ihrer Kindheit Reiterin ist und auch immer gern auf der Rennbahn war (mit viel Glück beim Wetten bei eigentlich wenig Ahnung von Vollblütern). Die ebenso liebe wie verrückte Manuela deutete meinen Anruf aber komplett falsch (das klassische Missverständnis unter Freundinnen) - nämlich als Aufforderung in das Syndikat einzusteigen. Dazu ein lustiges Zitat vom Trainer Wöhler; "Wer hat Sie denn überredet?" Manuela dazu: "Ja, eigentlich niemand. Das war nur ein Missverständnis." Wöhler daraufhin: "Waren Sie denn schon mal auf einer Rennbahn?" (es folgte großes Gelächter in der Runde in Ravensberg). Selbst Manuelas Ehemann Volkmar (ein echter Zahlenmensch!) war Feuer und Flamme von der Idee ein Rennpferd zu besitzen: "... man stelle sich mal nur die Rendite vor, wenn der den Arc gewinnt ...". Nach einem Besuch in Hamburg war "das Ding geritzt" und der "Tinsdaler" hatte seine neue Besitzergemeinschaft gefunden.
Nun wollten wir es alle langsam angehen. Der Tinsdaler wurde von unserem treuen Trainingsreiter Alec auf dem Gestüt eingeritten und antrainiert - immer unter dem wachsamen Blick meines Vaters natürlich (und manchmal auch meinem, denn im Training bin ich gern mit meinem Andalusier oder auf Onkel El Abrego mitgeritten). Die Bonner Besitzer-Fraktion, Manuela und Volkmar, wurden mit Berichten und Videos ständig auf dem Laufenden gehalten. Anfang Juli ging es dann, zusammen mit Onkel El Abrego (a.d. Emy Coasting), zum Trainer Wöhler. Er kennt die Familie wie seine Westentasche, hat auch die Mutter trainiert und weiß mit der Sorte umzugehen. Besucht haben wir Earl Of Tinsdal in Gütersloh natürlich auch und beim Training zugeschaut. Vom Trainer gab es in (gewohnt) homöophatischer Dosierung nette Kommentare "Das ist ein feines Pferd" (begleitet vom dem typischem Wöhler-Lachen). Und dann ging plötzlich alles doch ziemlich schnell. Der Tinsdaler war schon für München gemeldet, das Renndress noch nicht mal in Auftrag gegeben (herzlichen Dank auch an Dorothea Krumpen die, trotz der Arbeit an den Kostümen für das Männer-Ballett, unseren Renndress noch pünktlich fertig bekommen hat).
Ein erster Start ausgerechnet am Oktoberfest-Wochenende, die Preise für Flüge waren so saftig wie eine frische Weißwurscht und für uns normalsterbliche Pferdebesitzer nicht drin. Mit einer Horde Wiesn-Touris wollten wir uns auch nicht den Schlafwagen teilen ... also blieb nur das altbewährte Zittern vor dem Bildschirm. Die Pferde rückten bei Sonnenschein in die Startboxen ein (Earl ganz brav wie ein Alter) und ... dann brach die Internet-Leitung zusammen! Fassungslos starrten wir auf den Bildschirm und ich hackte wie ferngesteuert auf mein MacBook ein, bis dann drei Telefone gleichzeitig klingelten.
Der Rest ist Geschichte. Den Rennfilm haben wir seitdem sicher schon 20mal gesehen (in Begleitung von viel Stall-Tinsdal-Frizzante). Earl Of Tinsdal ist fröhlich aus dem Rennen gekommen, hat die anstrengende Reise gut verkraftet und gleich wieder ordentlich reingehauen. So soll's sein. Nun wollen wir mal schauen, ob wir im November in München im BBAG-Auktionsrennen noch mal an den Start gehen.